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FDP Thüringen

"Werkstatt Ost" statt "Aufbau Ost"

Im vergangenen Jahr konnte das 20-jährige Jubiläum der Deutschen Einheit feierlich begangen werden. Das Jubiläum war auch Anlass für viele Bilanzen. Insgesamt ist und bleibt der Einigungsprozess der letzten zwei Jahrzehnte ein großer Erfolg. Die Wirtschaftskraft und der Wohlstand der neuen Bundesländer haben enorm aufgeholt. Die Verkehrsinfrastruktur befindet sich in weiten Teilen auf dem neuesten Stand.

In Thüringen und den anderen Ländern finden sich zahlreiche Erfolgsgeschichten. Diese Entwicklungen wären nicht möglich gewesen ohne die herausragenden Leistungen und die Änderungsbereitschaft der ostdeutschen Bevölkerung. Diese Umstellung auf ein völlig anderes, bis dahin ihnen unbekanntes wirtschaftliches und gesellschaftliches System kann auch heute noch Vorbild für die notwendige Veränderungsbereitschaft in einer globalisierten Welt sein.

Herausforderungen

Trotz dieser positiven Entwicklungen stehen wir in Thüringen, wie in allen neuen Bundesländern, in den nächsten Jahren allerdings weiter vor großen Herausforderungen, die jetzt engagiert und mit Nachdruck sowohl auf Bundes- als auch Landesebene angegangen werden müssen, um den Prozess der Deutschen Einheit endgültig zu vollenden.

1. Die erfolgreiche Entwicklung ist einer gesamtdeutschen finanziellen und moralischen Kraftanstrengung zu verdanken. Von 1995 bis 2004 wurden im Rahmen des Solidarpakt I insgesamt 105 Mrd. Euro vom Bund für den Aufbau Ost bereitgestellt. Gemäß dem Solidarpakt II werden zwischen 2005 und 2019 insgesamt 156 Mrd. Euro solcher Mittel bereitgestellt sein. Auch aus den EU-Strukturfonds profitieren die neuen Bundesländer in besonderem Maße. Aus diesem Topf werden zwischen 2000 und 2013 insgesamt rund 35 Mrd. Euro nach Ostdeutschland geflossen sein. Im Jahr 2010 flossen dem Land Thüringen aus dem Solidarpakt II Mittel in Höhe von rund 1,25 Mrd. Euro zu. Hierin liegt allerdings auch eines der drängendsten Probleme der nächsten Jahre. Das graduelle Auslaufen dieser Mittel bis 2019 und der aus den EU-Strukturfonds bis 2014 wird den Haushalt des Freistaats Thüringen vor gravierende Probleme stellen. Es müssen deshalb schon jetzt mit Nachdruck Strategien entwickelt werden, wie mit dieser absehbaren großen Finanzierungslücke umgegangen wird. Die Weichen hierfür müssen schon jetzt gestellt werden. Diesbezüglich ist jetzt die Landesregierung in die Pflicht zu nehmen. Es darf keine weitere Zeit verloren werden.

2. Hervorzuheben ist auch die nach wie vor sehr hohe und anhaltende Abwanderung von jungen, gut ausgebildeten Menschen aus Thüringen. Noch immer verlassen im Saldo jeden Tag rund 40 Menschen den Freistaat. Zusammen mit einem schwachen Geburtenrate, verschärft durch den sog. Wende-Knick kurz nach 1990, ist Ostdeutschland wesentlich früher als andere Regionen von den negativen Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen. Dies macht sich schon jetzt in einer signifikant stärkeren Überalterung bemerkbar. Eine weitere Folge ist ein absehbarer massiver Fachkräftemangel. Diesen Herausforderungen muss sich Thüringen stellen. Die FDP Thüringen begrüßt, dass der Bund eine Demografiestrategie entwickelt. Allerdings müssen auch auf Länderebene noch stärker Anstrengungen unternommen werden, um die Überalterung und den Fachkräftemangel zu bewältigen. Wenn wir zusammen die richtigen politischen Voraussetzungen in dieser Beziehung schaffen, ergibt sich daraus eine enorme Chance für Gesamtdeutschland. Die jetzt hier zu erarbeitenden Konzepte können Vorbildcharakter haben, für die westdeutschen Bundesländer die in Zukunft vom demografischen Wandel auch verstärkt betroffen sein werden.

3. Weiterhin ist die mitteldeutsche Wirtschaft noch nicht zu einem selbsttragenden Aufschwung in der Lage. Die meisten Regionen werden als sog. "70-Prozent-Regionen" bezeichnet, weil die Wirtschaftskraft und die Produktivität in den letzten Jahren bei 70 Prozent des Westniveaus stagnieren. Um diesen Rückstand aufzuholen, muss die Wirtschaftsförderung neu konzipiert werden. Hierbei muss die Fähigkeit der Region gestärkt werden, aus eigener Kraft Netzwerke und Cluster hoher Innovationskraft zu entwickeln. Die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe ist ein Standbein für eine wirtschaftlich gesunde Entwicklung. In vielen Regionen ist das bereits der Fall. In Thüringen müssen wir insbesondere die Innovationsfähigkeit der vielen kleinen und mittleren Unternehmen stärken. Hierfür liegt der Schlüssel in der Förderung der Zusammenarbeit mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Kleinere Unternehmen sind hierauf angewiesen, weil sie in wesentlich geringerem Maß über Forschungsressourcen verfügen. Hier muss das Land ansetzen und die Forschungszusammenarbeit gezielt stärken, um die großen Potentiale der heimischen Unternehmen ganz auszuschöpfen.

Angesichts dieser Herausforderungen auf dem Weg zur Vollendung der Deutschen Einheit müssen wir weiter an neuen Konzepten arbeiten, die auch Vorbild für andere Regionen sein können. "Werkstatt Ost" statt "Aufbau Ost" muss das Schlagwort lauten.

Die FDP Thüringen fordert die Bundesregierung auf:

1. zur Überwindung der noch bestehenden strukturellen wirtschaftlichen Defizite die vereinbarten Mittel aus dem Solidarpakt II noch zielgerichteter und konzentrierter für gewerbliche Investitionen und wirtschaftsnahe Forschung und Entwicklung einzusetzen sowie die Förderinstrumente an die regionalen Besonderheiten und Bedürfnisse anzupassen und zu optimieren. Dabei müssen die Standortvorteile der Regionen herausgearbeitet und ausgebaut werden.
2. das Defizit der niedrigen Eigenkapitalausstattung der vorherrschenden kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Schwerpunktsetzung für die mittelständische Wirtschaft, vor allem im verarbeitenden Gewerbe sowie bei wirtschaftsnahen Dienstleistungen, auszugleichen.
3. sich bei Verhandlungen auf EU-Ebene mit Nachdruck für eine angemessene Übergangsregelung hinsichtlich des Auslaufens der EU-Förderprogramme nach 2014 ein-zusetzen, um ein abruptes Auslaufen der Programme zu verhindern.
4. bei der Überarbeitung der Städtebauförderung und des "Stadtumbau Ost" die heraus-ragende Bedeutung dieser Programme für Ostdeutschland angemessen zu berücksichtigen und die erreichten Erfolge nicht zu gefährden sowie Konzepte zur Bewältigung der Altschuldenproblematik zu entwickeln.
5. realistische Konzepte einer Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln, um der hohen Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland zu begegnen.
6. bestehende Unterschiede zwischen Ost und West (Z.B. Rente, Zahnarztvergütungen) weiter anzugleichen.

Die FDP Thüringen fordert die Bundesregierung und die Thüringer Landesregierung auf:

1. durch gezielte Investitionen in Ausbildung und Forschung den Anteil an gut ausgebildeten Fachkräften zu steigern, um den Standort für die High-Tech- und Dienstleistungsbranche attraktiver zu machen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze in Ostdeutschland zu sichern.

2. den Bereich Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen Betrieben gezielt zu fördern und somit deren Innovationsfähigkeit zu erhöhen bzw. durch Pflege entstandener innovativer industrieller Schwerpunkte zu erhalten.

3. weiter den Bürokratieabbau voranzutreiben, indem bestehende Bürokratiebelastungen abgebaut und bei neuen Gesetzen minimiert werden. Geringe Bürokratiekosten müssen als Standortvorteil verstanden und genutzt werden.

4. eine Demografiestrategie für Ostdeutschland und Konzepte vorzulegen, um dem abzusehenden Fachkräftemangel im Land entgegenzuwirken und Initiativen zu unterstützen, die die Abwanderung nachhaltig bekämpfen.

5. jeglichen Versuchen der Geschichtsumschreibung, Verklärungen und Umdeutungen entgegenzutreten sowie eine sorgsame Vergangenheitsbewältigung zu unterstützen. Dazu gehört die Geschichtsklitterung interessierter Kräfte bezüglich der DDR-Vergangenheit ebenso zu unterbinden wie die Verniedlichung der Lebensleistung normaler Menschen in der Diktatur. Hierzu sind Maßnahmen im Rahmen der Gesetzgebung, der Bildungspläne, der Aufarbeitung und Gedenkstättenarbeit weiter zu ergänzen oder auszuarbeiten.

Die FDP Thüringen fordert die Thüringer Landesregierung auf:

1. die Bundesregierung aktiv bei einer Überarbeitung der Förderpolitik zu unterstützen und die Voraussetzungen für die Entstehung einer innovationskräftigen industriellen Basis zu schaffen.
2. die politischen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Thüringen für die Ansiedlung Firmensitzen, Führungsstrukturen oder Forschungsabteilungen von Großbetrieben in Thüringen attraktiver zu machen.

3. ein Konzept vorzulegen, wie mit dem Auslaufen der Mittelzuweisungen aus dem Solidarpakt II zum Jahr 2019 und aus dem EU-Strukturfonds zum Jahr 2014 umzugehen ist und wie die ausreichende Finanzierung der öffentlichen Haushalte sichergestellt werden kann.

Der Landesparteitag fordert auch die Bundestagsabgeordneten und Landtagsabgeordneten der FDP Thüringen auf, sich weiter mit allen zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln dafür einzusetzen, dass die genannten notwendigen Maßnahmen weiter vorangetrieben werden und den Austausch zwischen relevanten Akteuren auf Bundes- und Landesebene zu befördern.

Beschluss des Landesparteirats vom 12.09.2011
16.09.2011

FDP Thüringen

Aufbau Ost, kein Nachbau West

Die FDP Thüringen tritt ein für:
• die Errichtung einer Sonderwirtschaftszone/ Modellregion Ost bzw. Thüringen mit Sondertarifen bei der Unternehmens- und Einkommenssteuer und einem flexibleren Arbeitsmarkt mit variablem Kündigungsschutz
• Vereinfachung des Steuersystems
• Anwendung einer gezielten und bedarfsgerechten Förderpolitik
• Bürokratieabbau
• Befreiung kleiner und mittelständischer Unternehmen von bundesrechtlichen Vorschriften.
Der Aufbau Ost ist ein vielschichtiges Gebilde, welches von vielen Komponenten beeinflusst wird. Dessen Gelingen erfordert eine koordinierte und sich ergänzende Zusammenarbeit verschiedener Politikfelder. Diese müssen die Förderung und den Aufbau Ost zu einer Selbstverständlichkeit und zu einem Grundbestandteil ihrer Arbeit machen. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen und einen positiven Einfluß auf die Entwicklung und das Wachstum des Landes ausüben. Es bedarf keines gesonderten "Ostbeauftragten". Jeder politisch Verantwortliche hat in seinem Fachgebiet die speziellen Interessen und Bedürfnisse der Regionen im Blick und berücksichtigt sie. Der Aufbau Ost ist kein geographisches oder strukturelles Problem bzw. ein Problem der politischen Kompetenzverteilung. Besonders die übernommenen Gesetze und Regelungen haben sich als Wachstumsbremse erwiesen. Der Aufbau Ost ist kein Nachbau West. Ohnehin kann und darf die Hauptverantwortung für diesen Prozeß nicht außerhalb von Thüringen liegen. Unser Land muss die Kraft aus sich selbst schöpfen.

Vgl.: Barth, Uwe, Presseveröffentlichung, Abwanderungsproblem auf Agenda setzen, 19. 4. 2004. Vgl.: FDP Landesvorstand, Antrag Nr. 30, Aufbau Ost – Umbau Ost – Chancen West, 18 Ordentlicher Landesparteitag des FDP Landesverbandes Thüringen, 12. 3. 2005, Apolda/ Pfiffelbach. Vgl.: Barth, Uwe, Presseveröffentlichung, Aufbau Ost kein Sonderpostenmarkt, 22. 8. 2005.
17.01.2007 Pressestelle
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